Thomas Hax-Schoppenhorst

Das Einsamkeits-Buch

Das Thema Einsamkeit wird in all seinen Facetten aufgefächert in „Das Einsamkeits-Buch“. Das Buch richtet sich an Mitarbeitende in Gesundheits- und Pflegeberufen, in psychozozialen Arbeitsfeldern, an Seelsorgerinnen und Seelsorgern und an interessierte Laien. Der Herausgeber Thomas Hax-Schoppenhorst lässt das Thema von vielen unterschiedlichen Fachautorinnen und -autoren aus sehr unterschiedlichen Perspektiven beleuchten.


Alter rockt nicht, geht aber auch nicht notgedrungen mit Einsamkeitsgefühlen daher. Dies sind nur zwei Erkenntnisse aus dem von Thomas Hax-Schoppenhorst herausgegebenen „Einsamkeits-Buch“. 500 Seiten über Einsamkeit, betrachtet und verhandelt in Beiträgen zahlreicher Autorinnen und Autorinnen – deprimiert und ermüdet das nicht? Keineswegs!

Das Buch, das sich mit Einsamkeit in unterschiedlichen Lebensaltern und Lebenssituationen befasst, nähert sich dem Phänomen aus unterschiedlichen Perspektiven: soziologisch, pflegewissenschaftlich, psychologisch, philosophisch, theologisch, künstlerisch. Die vielfältigen Beiträge unterschiedlicher Autorinnen und Autoren erdrücken in ihrer Fülle nicht, noch wirken sie wie ein wissenschaftliches Sammelsurium. Sie sind klar gegliedert und genau aufeinander abgestimmt. Das Buch beschreibt zunächst mit Statistiken unterlegt das „Phänomen Einsamkeit“, unterscheidet nach Lebensaltern, sozialer und gesundheitlicher Konstitution. Das Oberkapitel „Deutungen“ durchdringt Einsamkeitserleben aus psycho-analytischer, theologischer und philosophischer Sicht. Einsamkeit kann als tiefe Sinnkrise und Gottesverlassenheit erlebt werden, sie kann aber auch zur Quelle der inneren Gottesbegegnung, Selbstfindung, Mitmenschlichkeit und Kreativität werden.
 

Bild auf dem Cover "Das Einsamkeits-Buch"


Das Kapitel „Betroffene“ benennt Strukturen, persönliche und gesellschaftliche Gegebenheiten, in denen Einsamkeit unterschiedlich er- und gelebt werden kann und muss:
im Kloster, als Führungskraft, im Rettungsdienst, im Kinderhospiz. In Bezug auf das Alter wird sorgfältig differenziert: Isolation durch Armut und Marginalisierung ähnelt und unterscheidet sich von einem durch körperliche Einschränkungen und Schmerzen verursachten Verlassenheitsgefühl. Die Einsamkeit bei noch erhaltener Selbstständigkeit unterscheidet sich von der in einem Altenpflegeheim. Die Einsamkeit Sterbender ähnelt sich und unterscheidet sich von pflegender Angehörigen. Der inneren Einsamkeit der „Kriegsenkel“ wird hier ebenso ein Artikel gewidmet wie der Einsamkeit von Migrantinnen und Migranten.

Zur Theorie der Praxis in Pflege und Sozialarbeit geht es im 4. Kapitel, dem im 5. „Wege aus der Einsamkeit“ Erfahrungen von Initiativen und Projekten folgen: moderierte Videokonferenzen, Paten für Demenz, Wohlfühlanrufe.

Dabei ist das ganze Buch nicht in „Theorie und Praxis“ unterteilt, die Theoriekapitel enthalten oft farblich hervorgehobene praktische Hinweise und die Praxiskapitel sind theoretisch unterfüttert.

Das „Einsamkeits-Buch“ ist kein „schon wieder“ Einsamkeitsbuch. Es verzichtet wohltuend auf schrille Weckrufe, Schuldzuweisungen an die üblichen Verdächtigen (Singles, zunehmende Individualisierung, das Internet), Historienmalerei („früher, als es noch die Großfamilie gab“) und einfache Rezepte. Gleichwohl macht es deutlich, dass Einsamkeit krank machen, sogar zum Suizid führen kann und benennt Strukturen, gesellschaftliche Bedingungen und institutionelle Gesetzlichkeiten, die Einsamkeit fördern. Die sehr bewegenden Beiträge zur philosophischen, spirituellen und künstlerischen Durchdringung von Einsamkeit und Alleinsein machen deutlich, dass Einsamkeit ein menschliches Existential ist, das letztendlich angenommen und gelebt werden muss. Dies deprimiert nicht, sondern macht Mut.

Das „Einsamkeits-Buch“ sei Seelsorgerinnen und Seelsorgern, Pflegenden, Hospizbegleitenden und Mitarbeitenden in der Altenarbeit eindringlich empfohlen und ist auch als persönliche Lektüre ein Gewinn. Die Beiträge können gut einzeln und „durcheinander“ gelesen werden. Ein schlichtes Praxisbuch, das man nebenbei im Bus lesen kann, ist das wissenschaftliche „Einsamkeits-Buch“ nicht. Es informiert nicht schnell, „wie es geht“, sondern fordert zur Auseinandersetzung mit den eigenen Ängsten und Bedürfnissen nach Gemeinschaft und Stille, Resonanz und Allein-sein heraus.

Empfehlung: Lesen! Dieses Buch ist eine Perle im boomenden „Einsamkeitsmarkt“.

 

Eine Kurzrezension von Dr. Urte Bejick, Bereichsleitung Altenheimseelsorge in der Evangelische Landeskirche in Baden,
erschienen in: EAfA-Rundbrief Nr. 85
https://www.ekd.de/eafa/

Hogrefe Verlag, Bern 2018, 536 Seiten
gebunden, ISBN 978-3-456-85793-0, € 49,95